Bei Ausgrabungen auf dem Marktplatz in Halle/Saale konnten im Zeitraum von Mitte 2004 bis Mitte 2006 u. a. die Fundamente von St. Marien mit Teilen des dazugehörigen Friedhofs, sowie ein kleinerer Bereich des Kirchhofs von St. Gertruden aufgedeckt werden. Dabei wurden über 300 Gräber des Hoch- und Spätmittelalters untersucht, die anschließend einer anthropologischen Bearbeitung unterzogen wurden. Insgesamt standen 334 Individuen für die Untersuchungen zur Verfügung, deren größerer Anteil vom Kirchhof der St. Marienkirche stammt und ein kleiner Teil von St. Gertrudenkirchhof. Die Gräber können in die Zeit vom 12. bis 16. Jahrhundert datiert werden. Ziel der Arbeiten war eine Bestandaufnahme, die Bestimmung der Individualdaten und eine Sichtung der krankhaften Veränderungen an den Knochen. Die paläodemographischen Parameter wurden bereits ausgewertet, um erste Einblicke in die Lebensbedingungen der mittelalterlichen Bevölkerung von Halle zu erhalten.
Die Altersstruktur zeigt den Sterbegipfel im maturen Alter und auch der Anteil seniler Individuen ist mit 13 % vergleichsweise hoch. Die Kindersterblichkeit ist mit 20 % eher gering. Es liegt vermutlich ein Kleinkinderdefizit vor. In der Population konnte ein erheblicher Männerüberschuss festgestellt werden, der vermutlich mit einer verstärkten Zuwanderung aus dem ländlichen Raum zusammenhängt. In Halle könnte die Arbeit in der Salzproduktion eine besondere Anziehungskraft auf männliche Arbeiter ausgeübt haben. Die weiblichen Individuen weisen in den ersten Lebensjahren und im reproduktiven Lebensabschnitt ein erhöhtes Sterberisiko auf. Im Ganzen lässt sich aus den paläodemographischen Aspekten auf eher günstige Lebensbedingungen schließen.
Insgesamt fällt eine starke Belastung durch degenerative Veränderungen an den Wirbeln und großen Körpergelenken auf, die eventuell in einem Zusammenhang zu der Salzwirtschaft stehen. Ebenso könnte das gehäufte Auftreten der Frakturen an den oberen Extremitäten damit zusammenhängen. Zwei histologisch belegte Syphilisfälle stellen ein frühes Zeugnis für die Verbreitung dieser Erkrankung in Mitteldeutschland dar.
Schwere Spondylosis deformans an den unteren Brustwirbeln
Stark verdickte Diaphysen an beiden Tibien als Folge einer Syphiliserkrankung
Jungklaus B (2008): Anthropologische Untersuchungen an den Skeletten vom Kirchhof bei St. Marien. AiSA, Sonderband 10: Der Marktplatz von Halle. Archäologie und Geschichte, 186-188.
Jungklaus B (2009): Paläodemographische und paläopathologische Aspekte der spätmittelalterlichen Population von Halle/Saale. Beiträge zur Archäozoologie und Prähistorischen Anthropologie, Bd. VII, 171-181.
Jungklaus B (2010): Halles Geschichte unterm Markt – Anthropologische Untersuchungen an den mittelalterlichen Skeletten vom St. Marien- und St. Gertrudenkirchhof. Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 2010, 157-169.
Jungklaus B, Schulz C & Schultz M (2010): Histologischer Nachweis von Syphilis an Skeletten des 15./16. Jhd. aus Halle. In: Meller H & Alt KW (Hrsg.): Anthropologie, Isotopie und DNA. Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 3, 131-139.