Auf dem Gelände des Güterbahnhofs in Berlin-Spandau fanden im Frühjahr 1999 Abbrucharbeiten mit anschließenden archäologischen Untersuchungen statt. Das an der Westseite der Klosterstraße gelegene Grabungsgebiet wird 1728 in schriftlichen Quellen sowohl als der „gemeine Kirchhof“, als „Kirchhof vor dem Klostertore“, Soldatenfriedhof oder auch als der „combinierte Kirchhoff“ bezeichnet, auf dem Bürger der reformierten Gemeinde, Soldaten der Garnison und Katholiken beigesetzt wurden. Im Jahre 1796 schloss die Stadt den größten Teil des etwa drei Morgen großen und insgesamt bis 1831 belegten Friedhofs. Aufgrund der schriftlichen Quellen handelt es sich bei dem Friedhofsgelände um einen Bestattungsort für sämtliche in den Jahren zwischen etwa 1688 bis 1796 verstorbenen Spandauer Bürger. Da weder ein ausschließlicher „Soldatenfriedhof“, noch ein nach Konfessionen getrennter Friedhof vorliegt, ist davon auszugehen, dass ein repräsentativer Ausschnitt der damaligen Spandauer Einwohner auf dem Gelände bestattet wurde.

Im Rahmen der anthropologischen Untersuchung sollten anhand demographischer Parameter und der Krankheitsbelastung Rückschlüsse auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung des 17./18. Jahrhunderts gezogen werden. Dazu wurden die ermittelten Daten mit anderen Skelettserien ähnlicher Raum- und Zeitstellung verglichen.

Die 210 Individuen umfassenden Skelettserie des Spandauer Friedhofs ist als ein repräsentativer Querschnitt einer historischen Bevölkerung anzusehen. Bei der Altersverteilung ergaben sich hinsichtlich des Sterberisikos zwei Maxima, eines mit 21 % im Kleinkindalter sowie eines mit 21 % im maturen Alter. Die Kindersterblichkeit betrug 27 %, wobei die meisten Kinder bereits vor dem Erreichen des sechsten Lebensjahres verstarben.

Von den 123 Individuen, die einem Geschlecht zugeordnet werden konnten, ließen sich 50 als weiblich und 73 als männlich bestimmen. Es liegen Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung aus der Zeit ab 1816 vor, aus denen hervorgeht, dass Spandau durch das Militär einen vergleichsweise hohen Anteil an männlichen Einwohnern hatte. Der Männerüberschuss in der Skelettserie geht wahrscheinlich auf diese Tatsache zurück. Die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt lag bei 30 Jahren. Die geschlechtsspezifische Darstellung der Lebenserwartung zeigte sich, dass die der Frauen in allen Altersklassen deutlich über der der Männer lag. Auffällig ist außerdem, dass die durchschnittlichen Körperhöhen mit 159 cm für die Frauen und 171 cm für die Männer recht weit auseinander liegen. Die geringere Lebenserwartung der Männer steht vermutlich im Zusammenhang mit dem erhöhten Sterberisiko als Soldat, die durchschnittlich eher große Körperhöhe möglicherweise mit einer selektiven Zuwanderung größerer Männer für den Militärdienst. Zwei männliche Individuen wiesen am Schädel verheilte Hiebverletzungen auf, die wahrscheinlich aus kriegerischen Auseinandersetzungen stammten. Der relativ hohe Anteil an Gebissen mit Pfeifenlöchern lässt auf einen intensiven Tabakkonsum in jener Zeit schließen.

Ungewöhnlich – Drei Pfeifenlöcher zieren das Gebiss eines jungen Mannes

Sektionsschnitt am Schädel eines maturen Mannes

Fester J & Jungklaus B (2000): Gebiss mit Pfeifenlöchern. Anthropologie: Die Skelettfunde vom Friedhof in Berlin-Spandau. Archäologie in Berlin und Brandenburg 1999, 96-98.