Im April 1999 wurden in den Kellerräumen des Hauses Steinstraße 39 der Brandenburger Neustadt überraschend menschliche Bestattungen entdeckt. In einer mehrtägigen archäologischen Maßnahme konnten die Gräber untersucht und die Skelette und zahlreichen Einzelknochen geborgen werden. Aufgrund der Keramikfunde wurden die Bestattungen ins 12. bis 14. Jahrhundert datiert. Die anschießende Untersuchung wurde mit der Fragestellung durchgeführt, ob es sich bei den Gräbern um Teile des Friedhofes des Heilig-Geist-Hospitals handeln könnte, dass erstmals 1303 erwähnt wurde. Nach der historischen Überlieferung wechselte es mehrmals seinen Standort, der erste Standort ist aber bisher unbekannt.
Der anthropologischen Untersuchung standen 61 Individuen zur Verfügung, die gut bis sehr gut erhalten waren. Mit den gängigen wissenschaftlichen Methoden wurden die Individualdaten erhoben: Alter, Geschlecht und Körperhöhe. Die pathologischen Veränderungen wurden beschrieben und fotografisch dokumentiert.
Die Skelettserie ist als nicht repräsentativ für eine historische Bevölkerung anzusehen. Die Altersbestimmung erbrachte überwiegend erwachsene Individuen. Das Verhältnis von erwachsenen zu nichterwachsenen Individuen konnte mit 82% zu 18% angegeben werden, was eher einer Hospitalbevölkerung entspricht. Das Geschlechterverhältnis zeigte einen deutlichen Männerüberschuss. Der Maskulinitätsindex lag bei 200. Die durchschnittliche Körperhöhe von 158,4 cm ist im Vergleich als sehr niedrig zu bewerten. Daraus kann vermutet werden, dass es sich bei den Individuen um Angehörige von niedrigem sozialem Stand handelte. Die Ergebnisse der cranialen Vermessung erbrachte Hinweise auf eine eher homogene Bevölkerung. Die Krankheitsbelastung ist mit 80% auffallend hoch, bei zwei Individuen fanden sich schwere Erkrankungen, aus denen auf einen Hospitalaufenthalt geschlossen werden kann.
Insgesamt kann es aufgrund der anthropologischen Untersuchungen als wahrscheinlich angesehen werden, dass es sich bei den vorliegenden Skeletten um Bestattungen des Heilig-Geist-Hospitals handelt. Mittelalterliche Hospitäler waren durch das christliche Gebot zur Nächstenliebe begründete karitative Institutionen, die jeder Art von Hilfebedürftigen dienten. Meist waren die städtischen Einrichtungen dem Heiligen Geist als Inspirator der guten Werke gewidmet. Wie Berichte und Stadtpläne aufzeigen, hatten die Heilig-Geist-Hospitäler meist eine ganz typische Lage am Rande der Stadt an einem fließenden Gewässer und einer viel benutzten Straße. Die Lage des Fundortes der Bestattungen nahe dem Steintor an der Steinstraße als Hauptachse der Neustadt, stellt einen passenden Standort für das Heilig-Geist-Hospital dar.
Lage der Skelette direkt unter den Hausfundamenten
Starke Auflagerungen an der linken Tibiadiaphyse als Folge eines Ulcus cruris
Jungklaus B, Niemeyer W & Dalitz S (2000): Leichen im Keller – Die mittelalterlichen Bestattungen in der Steinstraße 39 der Brandenburger Neustadt. Archäologie in Berlin und Brandenburg 1999, 107-108.